Das olfaktorische System der Maus
Einleitung
Der Geruchssinn (Olfaktion) ist darauf spezialisiert, eine große Bandbreite von chemischen Molekülen in der äußeren Umgebung zu detektieren. In der Maus wird die chemosensorische Detektion durch ein Repertoire von etwa 1.100 olfaktorischen Rezeptorgenen gewährleistet, die von den olfaktorischen sensorischen Neuronen im primären olfaktorischen Epithel der Riechschleimhaut exprimiert werden. Die entsprechenden olfaktorischen Rezeptorproteine haben eine siebenfach transmembranäre Struktur, welche typisch für G-Protein-gekoppelte Rezeptoren ist. Es ist allgemein anerkannt, dass fast jedes differenzierte Neuron nur ein Rezeptorgen exprimiert. Axone der Neuronen die dasselbe Rezeptorgen exprimieren enden und vereinigen sich zu wenigen Glomeruli, welche klar abgegrenzte anatomische Strukturen im olfaktorischen Bulbus (Riechkolben) sind. Es gibt etwa 3.600 solcher Glomeruli im Bulbus einer erwachsenen Maus. Was sind die molekularen Mechanismen, die ein Neuron dazu befähigen, die Expression des immens großen Rezeptorgenrepertoires auf nur ein Gen zu beschränken? Was sind die molekularen und zellulären Mechanismen die die Neuronen, die das gleiche Rezeptorgen exprimieren, befähigen mit hoher Präzision sich in wenigen Glomeruli zu vereinigen? Diese fundamentalen Fragestellungen versuchen wir mit spezifisch genetisch veränderten Mäusen zu beantworten.
Zusammenhang zwischen der Anzahl der Neuronen und dem Volumen der Glomeruli
Wie viele Neuronen pro Maus exprimieren ein bestimmtes Rezeptorgen? Eine traditionelle Herangehensweise um olfaktorische sensorische Neuronen zu visualisieren besteht darin, dass ein genetischer Marker für Axone (z.B. ein fluoreszierendes Protein) zusammen mit dem Rezeptorgen mit Hilfe der internen ribosomalen Eintrittsstelle (IRES) exprimiert wird. Wir haben nun eine komplette Zellzählung für solche genetisch veränderten Mausstämme durchgeführt [1]. Diese Stämme repräsentieren 11 Rezeptorgene und damit eine Stichprobe von 1% des Rezeptorgenrepertoires. Die Anzahl der einen bestimmten Rezeptor exprimierenden Neurone variiert stark und kann sich bis zu 17-fach unterscheiden. Wir haben ebenfalls eine stark lineare Korrelation zwischen der Anzahl von Neuronen pro Maus und dem Volumen der korrespondierenden Glomeruli pro Maus gefunden. Ein praktisches Ergebnis unserer Studie ist, dass das totale glomeruläre Volume dazu verwendet werden kann, um die Anzahl von Neuronen pro Maus in spezifisch genetisch veränderten Mäusestämmen zu schätzen.
Wie reproduzierbar sind die Lokalisationen der Glomeruli, die durch die Vereinigung von Axonen der Neuronen gebildet werden, die denselben Rezeptor exprimieren? Diese Lokalisationen wurden traditionell als "stereotyp" bezeichnet. Wir haben nun die Lokalisationen der rezeptorspezifischen Glomeruli quantifiziert, in dem wir die serielle Zwei-Photonen Tomographie genutzt haben [2]. Diese Tomographie ist eine neue automatisierte Methode um die Fluoreszenz ganzer Organe abzubilden und kombiniert Zwei-Photonen Mikroskopie mit seriellen Mikrotomschnitten. Durch mehrfache Kreuzung haben wir Mausstämme geschaffen, die gezielte Mutationen in mehreren Rezeptorgenen enthalten. Wir haben die rezeptorspezifischen Glomeruli visualisiert, indem wir den gesamten olfaktorischen Bulbus mit Antikörpern markiert haben. Mit den hochauflösenden Datensätzen der 3D-Rekonstruktionen konnten wir die Variabilität der glomerulären Lokalisation zwischen den beiden Bulbi eines Individuums und zwischen den Bulbi verschiedener Mäuse ermitteln. Unerwarteterweise haben wir herausgefunden, dass der Grad der Variabilität der Lokalisation stärker ist als bisher angenommen und dass einige Arten von Glomeruli variabler in ihrer Lokalisation sind als andere. Bei unseren Ergebnissen haben wir also den Grad der Präzision, der durch den Mechanismus der axonalen Verschaltung von unterschiedlichen neuronalen Populationen differenziell bestimmt ist, gemessen.
Ein olfaktorischer Rezeptor mit einer extrem breiten Antwort auf Gerüche
Wie selektiv oder unspezifisch sind die Neurone, die ein bestimmtes Rezeptorgen exprimieren, hinsichtlich des Profils von chemischen Molekülen, die diese Neurone physiologisch aktivieren? Wir hatten bereits das weiteste Spektrum in olfaktorischen sensorischen Neuronen dokumentiert, und zwar in Neuronen die das Rezeptorgen SR1 exprimieren. Nun haben wir herausgefunden, dass die physiologische Antwort von Neuronen, die das Rezeptorgen MOR256-17 exprimieren, sogar noch breiter ist, als bei den SR1 exprimierenden Neuronen. Von den 35 getesten Chemikalien mit unterschiedlichen Strukturklassen haben die MOR256-17 exprimierenden Neuronen auf 31 Chemikalien reagiert, während die SR1 exprimierenden Neuronen auf nur 10 Chemikalien reagiert haben. Die 10 einzelnen Chemikalien, die die SR1 exprimierenden Neurone aktivierten, aktivierten ebenfalls die MOR256-17 exprimierenden Neurone. Wir folgerten daraus, dass MOR256-17 exprimierenden Neurone eine besondere Stellung innerhalb der etwa 1.100 unterschiedlichen neuronalen Populationen in Bezug auf ihre Antwort auf Gerüche einnehmen. Die biologische Funktion und das evolutionäre Auftauchen von olfaktorischen sensorischen Neuronen mit einem so breiten Reaktionsprofil bleibt weiterhin unklar.
Neben dem primären olfaktorischen Epithel hat auch das vomeronasale Epithel eine chemosensorische Funktion, hauptsächlich - aber nicht auschließlich - um Pheromone wahrzunehmen. Die oben genannten olfaktorischen sensorischen Neuronen exprimieren olfaktorische Rezeptorgene und sind für ihre chemosensorische Signaltransduktion von dem cAMP-erzeugenden Enzym Adcy3 sowie dem Ionenkanal Cnga2 abhängig. Im Gegensatz dazu exprimieren die chemosensorischen Neurone im vomeronasalen Epithel zwei Typen von G-Protein-gekoppelten Rezeptorgenen, die nicht mit den olfaktorischen Rezeptorgenen verwand sind; diese Neurone benötigen für ihre chemosensorische Transduktion den Ionenkanal Trpc2. Kürzlich haben wir zwei Typen von Neuronen im primären olfaktorischen Epithel endeckt, die einige Eigenschaften von beiden haben: Sie exprimieren Cnga2 und Trpc2. Diese beiden neuen Zelltypen können auf der Einzelzellebene durch die Expression von Adcy3 unterschieden werden: Typ A Neurone exprimieren Adcy3, Typ B Neurone dagegen nicht. Einige der Typ A Neuronen exprimieren olfaktorische Rezeptorgene. Mittels Analyse der Genexpression in einzelnen Zellen haben wir nun herausgefunden, dass im primären olfaktorischen Epithel die Typ B Neurone einzigartig in ihrer Expression der Guanylyl Zyklase Gucy1b2 sind. Dieses Enzyme erzeugt cGMP statt cAMP. Wir haben einen Mausstamm generiert, der neben Gucy1b2 mit Hilfe der IRES Strategie einen fluoreszierenden Axonmarker exprimiert. Dieser ermöglicht uns, selektiv die Vereinigung der Typ B Axone in drei Glomeruli im primären olfaktorischen Bulbus abzubilden. Unsere molekularen und anatomischen Analysen definieren Gucy1b2 als einen spezifischen Marker für Typ B Neurone innerhalb des primären olfaktorischen Epithel. Wir führen derzeit funktionale Studien an Gucy1b2 und an Typ B Neuronen durch, welche eine besondere chemosensorische Funktion zu haben scheinen.
RNA-seq der gesamten olfaktorischem Mukosa oder eines einzelnen Neurons
Das primäre olfaktorische Epithel ist Teil der olfaktorischen Mukosa, eines komplexen chemosenorischen Gewebes, welches aus verschiedensten, neuronalen und nicht neuronalen, Zelltypen besteht. RNA-seq, auch als Tiefensequenzierung bekannt, hat sich als neue und sehr leistungsfähige Methode herausgestellt, um Genexpression in Gewebeproben und seit kurzem sogar in einzelnen Zellen zu quantifizieren. Wir haben nun RNA-seq hierachisch in drei Etappen eingesetzt, jeweils mit sinkender Gewebeheterogenität: Angefangen mit einfachen Gewebeproben aus der Nase, aus denen über ein Zellensortiergerät differenzierte Neuronen und schließlich einzelne differenzierte Neurone isoliert wurden. Wir konnten zeigen, das 98,9% der intakten olfaktorischen Rezeptorgene in differenzierten Neuronen exprimiert werden. Grundsätzlich kodiert also jedes Mitglied des Rezeptorgenrepertoire für einen potentiellen Rezeptorkandidaten für Gerüche, basierend auf dem minimalen Kriterium der Expression in olfaktorischen sensorischen Neuronen. Wir fanden heraus, dass einzelne differenzierte Neurone typischerweise ein einzelnes Rezeptorgen am stärksten exprimieren, in Übereinstimmung mit der allgemein anerkannten „ein Neuron – ein Rezeptor“ Regel. Ebenfalls fanden wir, dass zwei der einzelnen Zellen kein olfaktorisches Rezeptorgen exprimieren, aber Trpc2 und Gucy1b2. Diese zwei Gene representieren die Typ B Neurone, die wir bereits mit einer anderen Methode der Genexpressionsanalyse in einzelnen Zellen beschrieben hatten. Wir entdeckten, dass diese Zellen sich von olfaktorischen sensorischen Neuronen durch die Expression von mindestens 55 Genen unterscheiden. Wir können nun mit Sicherheit sagen, dass diese Typ B Neurone ein neuer Typ von chemosensorischen Neuronen sind.